Was Schülerinnen und Schüler über gewaltfreie Konfliktbewältigung wissen sollten
Veranstaltung für Schulklassen im Rahmen der Ausstellung „Wir scheuen keine Konflikte“ über den Zivilen Friedensdienst
Jochen Winter berichtete am 26.9.13 über gewaltfreie Konfliktbearbeitung und seine Erfahrungen als Friedensfachkraft in Israel-Palästina.
Zumindest in dieser Hinsicht war der 26. September 2013 für die Schülerinnen und Schüler der Wald-Realschule ungewöhnlich: Statt im Klassenzimmer fand der Unterricht nämlich im Saal der Mannheimer Abendakademie statt. Anders war auch, dass nicht wie üblich der Lehrer vor der Klasse stand, sondern Jochen Winter, den etwas Besonderes auszeichnet. Sicherlich zunächst sein auffälliger Kinnbart, vor allem aber die Tatsache, dass er drei Jahre seines Lebens in einer der konfliktträchtigsten Region der Welt gelebt und gearbeitet hat, nämlich in Israel-Palästina, genau gesagt in Beit Jala, einem kleinen Ort im palästinensischen Westjordanland in unmittelbarer Nachbarschaft zu Bethlehem und Jerusalem.
Aufstehen statt Stillsitzen
Im Schulalltag ist in der Regel stillsitzen und aufpassen angesagt, doch nach einer kurzen Begrüßung bat Jochen Winter die Jugendlichen zuerst auf die Bühne und stellte ihnen Fragen. Auf einer gedachten Linie mit den Endpunkten "ja" und "nein" sollten sie sich entsprechend ihrer Antwort auf die eine oder andere Seite oder irgendwo dazwischen aufstellen. "Gewalt zur Selbstverteidigung?" lautete eine Frage oder "Frieden beginnt im Kleinen?" und "Soll sich Deutschland mehr für den Frieden in der Welt einsetzen?" Natürlich war dabei nicht nur Laufarbeit sondern auch Kopfarbeit gefragt, denn es ging auch um die Begründung einer Entscheidung. Eine sehr eindeutige Reaktion rief die Frage nach der Betroffenheit bei Meldungen und Bildern über Krieg und Gewalt hervor: bei den Mädchen war diese sehr hoch, bei den Jungen hingegen sehr niedrig.
Gruppenarbeit zielführend
Nach diesem ungewöhnlichen Warm up kam die altbewährte Gruppenarbeit zum Einsatz, bei der es um die Lösung eines erfundenen Konfliktes ging. Dieser zeichnete sich durch folgende Faktoren aus: unterschiedliche Verfügbarkeit über Bodenschätze oder Polizei und Militär, differierende Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, mehrere Volksgruppen und Religionen. Konkret ging es darum, ein Staudammprojekt so zu verwirklichen, dass die Spannungen nicht zu einem Bürgerkrieg eskalieren durften. Bei den präsentierten Lösungsansätzen spielte die Art und Weise von friedlichen Verhandlungen unter Beteiligung der Betroffenen und die gerechte Verteilung von Ressourcen und erzeugtem Strom eine wichtige Rolle.
Zivile Konfliktbearbeitung
Auch wenn der zu bearbeitende Konflikt erfunden war, war er keineswegs unrealistisch. Schließlich geht es in den zahlreichen Kriegen und Konflikten, bei denen Soldaten und Waffen keineswegs zufällig eingesetzt werden, meist um die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen und den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von Einfluss- und Entscheidungsprozessen. Oft werden äußerlich leicht wahrnehmbare Merkmale wie Religion, Volksgruppe oder Kultur als vermeintliche Ursache eines Konfliktes dargestellt. Die quasi im Verborgenen wirkenden Ursachen wie unterschiedliche Verfügungsgewalt über Militär oder Finanzen oder Überlegenheitsvorstellungen werden dabei bewusst oder aus Unwissen übersehen. Oft wird vergessen, dass der Aufbau und Unterhalt eines Militärapparates Geld und andere Ressourcen wegnimmt. Sie fehlen dann, um erträgliche Lebensumstände für (benachteiligte) Bevölkerungsgruppen zu verwirklichen. Wenn Waffen beschafft wurden, besteht die Gefahr, dass damit tatsächlich Menschen umgebracht werden. Wenn Menschen getötet wurden, sind Rache und Vergeltung die Folge und der verstärkte Hass erschwert das Zusammenleben oft für Jahrzehnte.
Ziviler Friedensdienst (ZFD) in Israel und Palästina
Jochen Winter hat Religionspädagogik studiert und war daher besonders dafür geeignet in einem ZFD-Projekt zu arbeiten, das die Dialogfähigkeit von verschiedenen Religionsgemeinschaften stärken soll. Konkret bedeutete das, bei Muslimen wie auch bei Juden, diejenigen zu unterstützen, die sich gerade aufgrund ihrer Religion für den Frieden einsetzen.
In Beit Jala hat Jochen Winter erfahren, dass Dialog enorm wichtig ist, dass diesem aber auch Veränderungen folgen müssen. Wenn das nicht der Fall ist, dann bleibt er leer und es droht sich Enttäuschung breit zu machen. Das ist vor dem Hintergrund eines lang andauernden und ungleichgewichtigen (asymmetrischen) Konflikts um so wichtiger: Israel ist Besatzungsmacht, die Palästinenser sind Okkupierte.
Das Büro des ZFD-Projektes in Bet Jala liegt in der Nähe von Bethlehem und Jerusalem und in der einzigen Zone, wo sich Palästinenser und Israelis ohne gesonderte Genehmigung treffen können. Angesicht von 600 militärischen Kontrollpunkten und der Mauer - die nicht nur die Bewegungsfreiheit und Mobilität der Palästinenser stark einschränken - ist der Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern fast unmöglich geworden. Jochen Winters Tätigkeit lässt sich daher im wahrsten Sinne des Wortes als Brückenbauer zwischen den Konfliktparteien beschreiben.
In den Blick gerückt
Den Abschluss der 90-minütigen Veranstaltung bildete eine Führung durch die Ausstellung. Die 15 Bildtafeln zeigen, dass Zivile Konfliktbearbeitung nicht anders als ein Schulfach erlernt und praktiziert werden muss. Weshalb es so wichtig ist, Frauen in die zivile Konfliktbearbeitung einzubeziehen, wird in einer eigenen Bildtafel verständlich begründet. Am Beispiel von Ländern wie Niger, Mazedonien, Kambodschada und Kolumbien und anderen Konfliktregionen wird deutlich, wie sehr unterschiedlich die ZFD-Projekte vor Ort sein können.
Weitere Informationen zur Ausstellung und Veranstaltungen
Wir scheuen keine Konflikte: Ausstellung über den Zivilen Friedensdienst
"Ziviler Friedensdienst – Wie weiter? Jetzt sind Sie gefragt!"
Frieden schaffen ohne Waffen - von der Utopie zur Wirklichkeit: ein Bericht über die Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung
"Schöner intervenieren oder neuartiger Friedenskolonialismus? Über die zivile Bearbeitung politischer Konflikte
Vortrag von Renate Wanie und Stephan Brües, Mo. 11.11.2013, 15:00 - 16:30 Uhr Mannheimer Abendakademie, U 1, 16-19, Saal (EG)
Weitere Infos über Jochen Winter und das Friedensprojekt in Beit Jala
Völkerrecht in 60 Sekunden - wie mit einen Videoclip für gewaltfreie Konfliktberarbeitung geworben wird
Interview mit Jochen Winter (damals Jochen Stoll) über seine Arbeit im Friedensprojekt in Beit Jala
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